Jawa heißt Sie willkommen
Jawa heißt Sie willkommen
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Tomáš Randýsek

JAWA heißt Sie willkommen

16.3.2021
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Essay
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Tomáš Randýsek

Durch den kleinen und sonst eher verschlafenen Ortsteil Brodetz (Brodce) donnern Motorräder unter dem Schriftzug „JAWA vás vítá“ (JAWA heißt Sie willkommen) auf den überlaufenen Parkplatz der Firma JAWA Moto. Der Schriftzug hat Tradition, der Parkplatz dagegen ist neu, denn früher stand hier eine nie fertiggestellte Lagerhalle für eingekaufte Maschinenteile. Sie entstand, als die Firma noch auf den Fortbestand des sowjetischen Markts baute. Das hätte die Traditionsmarke nach der Wende fast völlig ruiniert.

Die JAWA-Firmenzentrale - Foto: Tomáš Randýsek

Ihren Anfang nahm die JAWA-Firmengeschichte jedoch lange vorher. František Janeček, Jahrgang 1878, war ein begabter Ingenieur und Entwickler, der sich als Waffenkonstrukteur einen Namen machte – besonders mit einer neuartigen Handgranate. 1919 gründete er seine erste eigene Firma und belieferte die Armee der neu entstandenen Tschechoslowakei damit. Als ehrgeiziger Geschäftsmann erweiterte er aber schon bald das Tätigkeitsfeld und den Namen seines Betriebes auf ‚Herstellung von Militärausrüstung, Präzisionsmaschinen, -geräten und -apparaten Ing. F. Janeček‘.

Das Geschäft lief gut und 1925 ließ er sich eine herrschaftliche Villa auf einem Hügel in Teinitz bauen, die über ein verschiebbares Dach zur Sternenbeobachtung verfügte und heute noch besichtigt werden kann. 1928 war die Villa fertig und Janeček suchte nach einem neuen Projekt.

Geburt einer Legende

Das fand er bei den Wanderer-Werken in Schönau bei Chemnitz in Form des Wanderer K 500-Motorrads. Er erwarb die Rechte zur Lizenz-Herstellung der Maschine und ab 1929 begann die Produktion. Aus „JA“ für Janeček und „WA“ für Wanderer wurde am 17. August 1929 mit dem Eintrag in das Markenregister so die später legendäre Motorradmarke JAWA.

Noch im selben Jahr wurde die neue, rot-weiß lackierte Errungenschaft beim 21. Internationalen Autosalon in Prag erstmals vorgestellt. Die Farbkombination sollte eines der Markenzeichen von JAWA werden, das heutige Logo kam erst später.

Der JAWA-Parkplatz - Foto: Tomáš Randýsek
Das erste JAWA-Modell - Foto: Tomáš Randýsek

Vom ersten Modell wurden in mehreren Varianten insgesamt 1.019 Stück gebaut. Weitere frühe Modelle basierten dann auf englischen Motorrädern und später auf eigenen Entwicklungen. In den 1930er Jahren entstanden dafür neue Produktionsstätten in Sichtweite der Janeček-Villa in Teinitz und einer ehemaligen Großwäscherei in Brodetz. 1933 sorgte die Motorradproduktion bereits für 84 Prozent der Einnahmen von Janečeks Rüstungsfirma – auch dank Regierungsprogrammen, die die einheimische Motorradproduktion mit Einfuhrbeschränkungen für Importfahrzeuge unterstützten.

Janečeks nächstes Projekt war ein eigenes Automobil, das 1934 vorgestellt wurde. Vom JAWA 700 genannten Gefährt, das als Lizenzbau der DKW Meisterklasse entstand, wurden insgesamt 1.242 Stück hergestellt und sogar eine kleine Sonderserie für Langstreckenrennen gab es. Die erste Blütezeit der Marke JAWA endete aber mit der Okkupation 1939. Die Oberaufsicht über die Firma übernahm die Rüstungsinspektion Prag und die stellte die Produktion auf Rüstungsgüter um. Der Betrieb fertigte fortan Teile für Panzerketten, Bombenhalterungen und Elektromotoren an.

Der Firmengründer František Janeček starb 1941, konnte jedoch zuvor noch veranlassen, dass Materialien für den Bau von etwa 8.500 Motorrädern und 700 Automobilen in diversen Kellern, Scheunen und Schuppen in Teinitz und Umgebung versteckt wurden. Auch die hergestellten Rüstungsgüter

waren zum großen Teil so projektiert, dass sie für den Kriegseinsatz unbrauchbar waren. 1945 lagerten bei der Firma deshalb noch 17 610 unbenutzte Bombenhalterungsverschlüsse, etwa 60 bis 70 Prozent der gesamten Produktion. Wie viele Tschechen waren auch die JAWA-Arbeiter von der Verschleppung zur Zwangsarbeit in Deutschland bedroht. Durch Einstufung als Produzenten kriegswichtiger Güter konnten aber zumindest 200 von ihnen vor diesem Schicksal bewahrt werden.

Die JAWA-Autos waren ein weiteres Projekt von Firmengründer Janeček - Foto: Tomáš Randýsek

Volkseigener Betrieb und Absturz

Die Produktion konnte zwar dank der eingelagerten Teile nach dem Krieg schnell wieder aufgenommen werden, noch 1945 waren es schon wieder 1210 Fahrzeuge, doch die Freude darüber währte nur kurz. Bereits 1946 wurde die gesamte Firma verstaatlicht und JAWA bald darauf ein „volkseigener“ Betrieb. Im selben Jahr begann die erstmalige Lizenzvergabe zum Bau von JAWA-Motoren im Ausland durch einen Vertrag mit der belgischen Firma Socovel. Später kamen unter anderem Indien, die Türkei und Mexiko dazu.

In den 1950er und 1960er Jahren erlebte JAWA dann das größte Herstellungswachstum durch staatlich gestützte Ausfuhrabkommen. 1961 erreichte die Produktion ihren Höhepunkt mit 125.893 Maschinen. Dem politischen Umsturz in Europa jedoch folgte der wirtschaftliche Absturz von JAWA. Hatte man im Jahr 1990 noch 104.516 Motorräder gebaut, waren es 1992 nur noch 7.194. Der riesige Markt der Sowjetunion war weggebrochen.  Das alte Modell „für vier JAWAs, die an die Sowejtunion geliefert werden, gibt es einen Lada zurück“ zog nicht mehr und in Teinitz füllten 32.000 unverkaufte Zweiräder bald alle vorhandenen Stellflächen. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren konnten die meisten davon dann später in die Türkei verkauft werden.

Die Sportmotorrad-Abteilung, die noch immer bei Speedway-Fahrern hohes Ansehen genießt, spaltete sich bereits 1991 ab, andere Betriebsteile folgten. Anfänglich hatten nach der Wende noch viele ausländische Firmen, darunter auch BMW, Interesse an JAWA geäußert, eine sich über Jahre hinziehende Privatisierung ließ sie jedoch alle nach und nach abspringen. Schließlich übernahm 1996 die Firma Jihostroj JAWA zu 100 Prozent und gründete 1997 die Gesellschaft JAWA Moto.

JAWA lebt

Damit begann der schmerzhafte Prozess der Restrukturierung, dem nach und nach auch viele Produktionsgebäude in Teinitz, der mittlerweile letzten Produktionsstätte für JAWA-Straßenmotorräder in Tschechien, zum Opfer fielen. Das dominante Gebäude in Brodetz, auf dem ein drei mal sechs Meter großes, rotes JAWA-Logo prangt, steht aber noch, wurde 2014 saniert und erhielt moderne Fertigungsanlagen.

Hinter dem fünfstöckigen Fabrikgebäude liegt jener Parkplatz, der an diesem Tag Hauptschauplatz des JAWA-Schaulaufens zum 90. Gründungsjubiläum der Marke ist. Liebevoll gepflegte Motorräder aus allen Jahrzehnten der Firmengeschichte werden hier von ihren Besitzern vorgeführt, zusammen mit teils skurrilen Umbauten, Rikscha-Importen aus Asien und lebensgroßen Holzmodellen. Auswahl gibt es genug, denn bis heute hat die Firma etwa 3,5 Millionen Motorräder verschiedenster Typen gebaut. Die letzte größere Lieferung ging übrigens an die Feuerwehr in Kasachstan.

Die aktuell erhältlichen JAWAs sind hochglanzpoliert aufgefahren worden und stehen neben der Versuchshalle, in der gerade Testläufe stattfinden. Oft hatte man in den letzten Jahren Prototypen getestet und wieder verworfen, Motoren aus China eingebaut, die auf mäßige Begeisterung der Käufer stießen, hatte bei den markentreuen Fans Hoffnungen geweckt und war doch nur Euro-Abgasnormen hinterhergerannt. Diesmal ist sich Firmendirektor František Hruška, der neben der aktuellen Produktpalette seine Ansprache zum 90. JAWA-Jubiläum hält, jedoch sicher, dass die seit über zehn Jahren in der Entwicklung befindliche neue JAWA 1000 im Jahr 2021 endlich in die Serienfertigung gehen kann. Dafür gab es im Fachpublikum immerhin zustimmendes Raunen.

Die große Ausfahrt 2019 - Foto: Tomáš Randýsek

Zum Abschluss des JAWA-Geburtstagstreffens knattern alle Motoren noch einmal bei einer gemeinsamen Ausfahrt entlang der Sasau. Schaulustige und Motorradenthusiasten aus aller Herren Länder säumen die Werksausfahrt und fotografieren den seltenen Anblick um die Wette. Langsam verzieht sich der Benzingeruch und in Brodetz kehrt wieder Ruhe ein – bis zum nächsten großen Firmenjubiläum, wenn es wieder heißt: JAWA heißt Sie willkommen.

Dieser Text erschien zuerst auf landesecho.cz