Deutsch-Polnische Grenze bei Kamminke
Deutsch-Polnische Grenze bei Kamminke
 — Foto: 
Kathleen Beger

Usedom - Mit dem Rad unterwegs zwischen Deutschland und Polen

28.7.2021
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Essay
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Kathleen Beger

Usedom (polnisch: Uznam) ist nach Rügen die zweitgrößte Insel Deutschlands. Der größere Teil, der sich entlang der Ostsee von Peenemünde bis Ahlbeck erstreckt, gehört zu Mecklenburg-Vorpommern, der kleinere mit der Hafenstadt Świnoujście (Swinemünde) zur polnischen Woiwodschaft Westpommern. Die meisten Besucher und Besucherinnen suchen zwar vor allem die schier endlos langen malerischen Sandstrände auf, doch gibt es auch jenseits der Küstenbäder einiges zu entdecken.

Auf den Spuren von Lyonel Feininger

Am besten lässt sich das Hinterland um Achterwasser und Stettiner Haff per Rad erkunden. Das wusste schon der deutsch-amerikanische Maler Lyonel Feininger (1871-1956), der Usedom von 1908 bis 1912 mit seinem Cleveland Ohio Rad unsicher machte, um nach Motiven für seine Bilder Ausschau zu halten.[1] Seit 2009 gibt es auf Usedom die Lyonel-Feininger-Rundtour, die eine Gesamtlänge von 56 Kilometern besitzt. Radler und Radlerinnen können sich an den weiß-blauen Schildern orientieren, die auf die Spuren des Künstlers hinweisen. Seine Malorte sind mit Bronzeplatten markiert.[2]

Holländerwindmühle in Benz - Foto: Kathleen Beger
Fischräucherei in Kamminke - Foto: Kathleen Beger

Die zwei Feininger-Touren – kleine und große Runde – beginnt man am besten in einem der drei „Kaiserbäder“ Ahlbeck, Heringsdorf oder Bansin. Die erste führt von Bansin aus ins „Achterland“ über Sallenthin nach Benz, Neppermin und Mellenthin – Orte, die dem Maler zur Inspiration dienten und Eingang in sein künstlerisches Werk fanden. Sehenswürdigkeiten wie die Windmühle in Benz, das Wasserschloss in Mellenthin und kleine Cafés entlang der hügeligen Strecke laden zur Verschnaufpause ein. Für den größeren Hunger empfiehlt sich der Nepperminer Fischpalast, der direkt am Achterwasser gelegen ist.

Die zweite Feininger-Tour beginnt in Heringsdorf oder Ahlbeck und führt über Neuhof, Gothen, Korswandt, Zirchow und Kamminke ins polnische Świnoujście. Sie ist anspruchsvoller als die erste, da Radler und Radlerinnenkurze Steigungen von bis zu 18 Prozent bewältigen müssen. Eines der Highlights entlang der Strecke ist der am Stettiner Haff gelegene Ort Kamminke. Er gilt als eines der ältesten Fischerdörfer der Insel. Seine reetgedeckten Häuser und die malerische Landschaft, in der man mit etwas Glück Störche, Kraniche und Seeadler beobachten kann, laden zum Verweilen ein. Auch die direkt am Wassergelegene Fischräucherei kommt nach den schweißtreibenden Anstiegen gerade recht.

Im Jahr 1827 kam auch Theodor Fontane (1819-1898) durch Kamminke. Aus Anklam kommend setzte er hierher mit einer Fähre vom Festland über. Fontanes Familie zog damals von Neuruppin nach Swinemünde, wo sein Vater die Adlerapotheke übernahm, und blieb insgesamt fünf Jahre in der Hafenstadt an der Ostsee.[3]

 

Der Golm - vom Ausflugsziel zur Kriegsgräberstätte

Bevor es mit dem Rad weiter Richtung deutsch-polnische Grenze und Świnoujście geht, bietet sich ein kurzer Besuch auf dem Golm an. Mitseinen gerade einmal 69 Metern ist der Golm die höchste Erhebung der Insel Usedom. Er steht seit 1967 unter Naturschutz und liegt unweit von Kamminke direkt an der deutsch-polnischen Grenze. Bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war der Golm ein beliebtes Ausflugsziel für die Einwohner und Einwohnerinnen der nahegelegenen Stadt Swinemünde. Damals befanden sich hier ein Restaurant und ein Bahnhaltepunkt.[4]

Bekanntheit erlangte der Hügel nicht nur aufgrund seiner Lage inmitten traumhafter Natur, sondern auch durch die Narben, die der Zweite Weltkrieg hier hinterlassen hat. Im Sommer 1944 entstand auf dem Golm ein Soldatenfriedhof.

Kriegsgräberstätte Golm - Foto: Kathleen Beger
„Mehr als 250 Marinesoldaten, sowie die Besatzung eines gesunkenen U-Boots, und mindestens 1000 Angehörige von Heer und Luftwaffe fanden hier bis Kriegsende ihre letzte Ruhe.“

Im Frühjahr 1945 war Swinemünde mit Flüchtlingen und Soldaten überfüllt. Infolge der Bombardierung der Stadtdurch amerikanische Bomber am 12. März 1945 verloren neueren Forschungen zufolge etwa 4.500 bis 6.000 Menschen ihr Leben. Viele von ihnen fanden – oft auch anonym – auf dem Golm ihre letzte Ruhestätte.[5]

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. initiiert regelmäßig Veranstaltungen im deutsch-polnischen Grenzgebiet auf Usedom, in diesem Jahr unter anderem der „Deutsch-polnischer Fachkräfteaustausch Golm/Usedom 2021 – Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg im Grenzraum“ vom 7. bis 10. August.  

 

Fontane, Softeis und Swinemünde

Nach dem Besuch auf dem Golm führt der Weg weiter über einen kleinen Kanal nach Polen. Die Strecke läuft zunächst auf einer ruhigen Straßeneben einer Kleingartenkolonie entlang und endet schließlich an einer Kreuzung, an der die ersten Wohnhäuser von Świnoujście zu erkennen sind. Heute führen gut ausgebaute Radwege und Straßen von hier direkt ins Zentrum der Stadt – recht komfortabel, wenn man bedenkt, dass es zu Theodor Fontanes Lebzeiten noch keine gepflasterten Wege, sondern nur Sand gab.[6]

Landschaft (mit zwei Störchen) bei Kamminke - Foto: Kathleen Beger

Das Haus, in dem Fontane gelebt hat, befand sich gegenüber der einst evangelischen, heute katholischen Christuskirche (Kośćioł Chrystusa Króla) in unmittelbarer Nähe des Kleinen Marktes, heute Plac Wolności (Freiheitsplatz). Hierin war auch die Adlerapotheke, die sein Vater betrieb, untergebracht. Das Gebäude existiert nicht mehr. Es wurde 1955 abgerissen. Heute steht an der Stelle ein moderner Wohn- und Geschäftsblock. Seit 1998 ziert ihn eine Gedenktafel für Theodor Fontane. Auch wenn der Schriftsteller hier nur fünf Jahre seiner Kindheit verbracht hat, sind viele Erinnerungen an Swinemünde in seine Werke eingeflossen, nicht nur in „Meine Kinderjahre“, sondern auch in „Effi Briest“.[7]

Ausklingen lassen sollten Radler und Radlerinnen die Tour an der Promenade von Świnoujście. Hierhin gelangt man, indem man entweder durch den weitläufigen Kurpark und dann immer geradeaus oder rechts an diesem vorbei in Richtung Mole fährt und sich noch die Schiffe entlang der Swinemündung anschaut. Als Belohnung winken am Strand unzählige kleine Cafés und Eisdielen, die das in Polen typische Lody kręcone (Softeis) oder leckere polnische Waffeln (gofry) mit Früchten und Schlagsahne anbieten.

Die Rückfahrt von Świnoujście nach Ahlbeck, Heringsdorf oder Bansin führt entlang der Promenade, auf der es einen durchgehenden Radweg gibt. Wer keine Kraft mehr besitzt oder die Tour aus entfernteren Seebädern wie Koserow oder Zinnowitz angetreten hat, kann in Świnoujście in die Usedomer Bäderbahn steigen und sich entspannt zurückfahren lassen.

Foto: Kathleen Beger

[1] Einige der Grafiken Lyonel Feiningers können heute im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald bestaunt werden. Anlässlich des 150. Geburtstages des Künstlers am 17. Juli 2021 sendete das Museum einen virtuellen Gruß: Happy birthday, Feininger! - YouTube

[2] https://usedom.de/feininger-radtour

[3] Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Fischer 2011, 33; Hannes, Hellmut: Auf den Spuren Theodor Fontanes in Swinemünde. Ein Stadtrundgang durch Świnoujście. Helms Thomas Verlag 2009, 7.

[4] Kriegsgräberstätte: Garz "Auf dem Golm" - Bau, Pflege und Instandsetzung | Volksbund.de

[5] Ebd. Für weiterführende Informationen zur Bombardierung Swinemündes und der Kriegsgräberstätte auf dem Golm siehe Schnatz, Helmut: Der Luftangriff auf Swinemünde. Dokumentation einer Tragödie. Herbig, 2004; Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. (Hg.): Der Golm und die Tragödie von Swinemünde. Kriegsgräber als Wegweiser zwischen Vergangenheit und Zukunft. Nordlicht-Verlag, 2011 sowie Köhler, Nils; Utpatel, Klaus (Hg.): Das Inferno von Swinemünde. Überlebende berichten über die Bombardierung der Stadt am 12. März 1945. Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., 2015 (3. Aufl.).

[6] Fontane, Meine Kinderjahre, 33.

[7] Hannes, Auf den Spuren Theodor Fontanes in Swinemünde, 7, 9f.